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Ein Abschiedsinterview mit Prof. Stephan Herpertz

„Und dann wurde es doch die Medizin“

Bei der Verabschiedung als Direktor der LWL-Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie ist von Prof. Stephan Herpertz zu erfahren, dass er sich erst auf Umwegen letztlich für das Fach der Psychosomatischen Medizin entschieden hat. Vom Journalismus über die Luftwaffe bis hin zur Kunst wäre ihm bis dahin alles zuzutrauen gewesen. Wie es dann doch die Medizin wurde und warum sich am Ende der Kreis dann doch noch schließt, ist in einem Abschiedsinterview mit Prof. Stephan Herpertz nachzulesen.

klinik@inside: Die medizinische Laufbahn wurde Ihnen quasi in die Wiege gelegt. Hatten Sie überhaupt eine Wahl?

Herpertz: Obwohl familiär vorbelastet, hatte ich als Schüler zugegebenermaßen sehr mit dem Beruf des Journalisten geliebäugelt. Aber ich kam damals nur mit Lokal- und Sportjournalisten in Kontakt, und dieser Weg schwebte mir absolut nicht vor. Tatsächlich hatte ich dann mit 18 Jahren bei der damaligen Musterung vor, zur Bundeswehr, genaugenommen zur Luftwaffe zu gehen, um Pilot zu werden. Schließlich habe ich aber doch einen Studienplatz für Medizin erhalten. Während des Studiums in Bonn habe ich noch ein paar Semester Philosophie dazwischen gelegt und zum Ende auch noch einen Studienplatz an der Kölner Kunstfachhochschule für Zeichnung und Radierung erhalten. Ich hatte also die Wahl der Wahl und blieb dann doch bei der Medizin.

klinik@inside: Warum haben Sie sich für die Psychosomatische Medizin entschieden? Wofür haben Sie während Ihrer Zeit als Mediziner und Psychotherapeut am meisten gebrannt?

Herpertz: Nach sieben Jahren Assistenzzeit in der Inneren Medizin und später als Facharzt plante ich zunächst, mich als Gastroenterologe in einer Praxisgemeinschaft niederzulassen. Einblicke in die Psychotherapie führten mich dann in Richtung Psychosomatik – mit der sicherlich etwas idealistischen Vorstellung, am späten Nachmittag oder Abend in der Praxis Gespräche mit Patienten und Patientinnen zu führen, um psychische Probleme im Hinblick auf die Genese oder Krankheitsbewältigung ihrer Beschwerden bzw. Erkrankung zu besprechen. Heute hat sich dies als „psychosomatische Grundversorgung“ etabliert. In der LVR-Universitätsklinik Essen startete ich 1991 dann als Assistenzarzt in der Psychosomatik und kehrte der Inneren Medizin den Rücken. Das Fach Psychosomatische Medizin gab es noch nicht. Wir ärztlichen Kolleginnen und Kollegen waren damals allesamt Fachärzte und -ärztinnen (Gynäkologie, Innere Medizin, Pädiatrie, Psychiatrie etc.), und das Verbindende und einzig Identitätstiftende war die Psychoanalyse, so dass viele später neben der Facharztausbildung zur Psychotherapeutischen Medizin (etabliert 1992, 2003 umbenannt in Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Anm. der Red.) auch eine psychoanalytische Ausbildung machten.

Nach sieben Jahren Innere Medizin habe ich es sehr genossen, mich meinen Patientinnen und Patienten deutlich intensiver widmen zu können und nicht ständig „meinem Funk hinterherlaufen“ zu müssen. Mit der ersten Publikation 1993 fiel dann auch die Entscheidung, an der Uni zu bleiben, was letztendlich mit der Habilitation einherging.

klinik@inside: 2010 haben Sie nach Ihrer Zeit in der LWL-Klinik Dortmund die beliebten Symposien für Psychotherapie am Standort Bochum fortgeführt. 2023 jährten sich diese zum 30. Mal. In den zurückliegenden zehn Jahren war ein Wandel bei der Auswahl der Themen festzustellen. Sie legten Wert auf Perspektivwechsel. Woran lag das?

Herpertz: Das hatte zwei Gründe. Zum einen gibt und gab es genug klassische Fortbildungsangebote. Zum anderen interessierte mich immer schon der Austausch mit anderen Themenfeldern und Expertinnen und Experten z.B. aus der Medizin, der Neurobiologie, Philosophie, Psychologie oder Theologie. Letztendlich wollte ich weniger in die Tiefe, sondern eher in die Breite meines Erfahrungsschatzes gehen. Hinzu kam, dass mich neben dem Individuum auch die entsprechenden gesellschaftlichen Kontexte interessierten, also Gesellschaftstheorien. Tatsächlich war das dann auch ein Erfolgsmodell, denn die Anmeldungszahlen von Teilnehmenden stiegen von Jahr zu Jahr.

klinik@inside: Welches Symposium ist Ihnen am meisten in Erinnerung geblieben?

Herpertz: Die Symposien der letzten Jahre wie „Beschleunigung und Entschleunigung“ (2021), „Schuld und Scham“ (2019), „Liebe und Partnerschaft“ (2018) oder „Veränderbarkeit – Ändern, Verändern, Anders“ (2017) haben mir sehr gefallen. In Erinnerung ist mir aber besonders das Symposium „Diesseits von Gut und Böse“ (2022) geblieben. Wahrscheinlich hängt das zusammen mit dem Ukraine-Krieg, aber auch mit Reisen in die Sowjetunion oder Russische Föderation in den Jahren zuvor.

klinik@inside: Was werden Sie hier am meisten vermissen?

Herpertz: Ich werde sicherlich das turbulente Leben der Klinik vermissen, ich mag Management, Abwechslung und Gestaltungsmöglichkeiten etc. Natürlich fehlen mir auch viele der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meiner Klinik. Rückblickend herrschte in all den Jahren ein toller Teamgeist.

klinik@inside: Haben Sie sich schon Gedanken über nächste Projekte gemacht?

Herpertz: Zusammen mit einer Mitarbeiterin der Klinik und einer Kollegin aus Kiew organisiere ich eine Ausstellung in der Uni-Bibliothek der Ruhr-Universität Bochum mit Bildern kriegstraumatisierter Kinder in der Ukraine. Die Kinder nahmen dort an einer Kunsttherapie teil, viele Bilder sind vor und nach der Therapie entstanden.

Weiterhin steht eine Reportage für eine große deutsche Zeitung über traumatisierte Menschen der Stadt Butscha in der Ukraine an, sicherlich eine Herausforderung, aber auch die interessante Möglichkeit, in neue, wenn auch sehr ernste Welten einzutauchen.

klinik@inside: Sie sind sehr an gesellschaftlicher Entwicklung interessiert: Wären Sie nicht dann doch lieber Journalist geworden?

Herpertz: Ich weiß nicht, ob ich mir das zutrauen, aber auch zumuten würde. Ich denke, wir befinden uns zusehends in einer Zeit des Umbruchs mit enormen Herausforderungen. Die Sicht vieler Menschen auf die Welt, es gehe alles den Bach hinunter und auf die Dauer eh schief, ist die Sicht einer Gesellschaft, die auf dem Zenit ihrer Entwicklung angekommen zu sein glaubt und damit einer Talfahrt entgehen sieht. Da beobachte ich lieber und bringe mich vielleicht dann ein, wenn ich meine, mir eine fundierte Meinung gebildet zu haben.

klinik@inside: Wir wünschen Ihnen alles Gute für Ihre nächsten Lebensprojekte!

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Herpertz