Essstörungen/ Adipositas
Wenn Nahrung oder der Verzicht auf Nahrung dazu benutzt wird, Gefühle zu unterdrücken oder Konflikte zu vermeiden, so ist dies oftmals der erste Schritt zu einer ernsthaften Essstörung.
Essstörungen sind nicht selten eine Antwort auf Überforderung, innere Leere oder die Angst vor Nähe, eine Antwort auf Ärger oder manchmal sogar auf Freude. Essstörungen können unterschiedliche Ausprägungen haben.
Unser Team hilft Patientinnen und Patienten bei:
Anorexie
Von "Anorexia nervosa" (Magersucht) sind vorrangig Mädchen und junge Frauen betroffen, aber auch Männer können an Magersucht erkranken. Durch die extreme Gewichtsabnahme drohen bei magersüchtigen Patientinnen und Patienten oft sehr ernsthafte Komplikationen, die einen stationären Aufenthalt meist unumgänglich machen.
So behandeln wir erkrankte Patientinnen und Patienten
Die Behandlung der Magersucht basiert auf zwei Säulen: die Gewichtszunahme und die Behandlung der psychischen Probleme. Da magersüchtige Patientinnen und Patienten ihre Erkrankung häufig verleugnen und ihr Essverhalten aus eigener Kraft nicht normalisieren können, ist eine stationäre Psychotherapie, in der schon in der Phase der Gewichtszunahme eine psychotherapeutische Betreuung gewährleistet ist, meist notwendig. Der stationäre Aufenthalt ist als Einstieg in den psychotherapeutischen Prozess zu sehen, der ambulant fortgesetzt werden muss, wenn die Behandlung Erfolg haben soll. Die Psychotherapie kann magersüchtigen Frauen und Männern andere Lösungen für die Bewältigung ihrer Probleme eröffnen, ohne auf ihr gestörtes Essverhalten als Lösungsstrategie zurückgreifen zu müssen.
Bei jüngeren Magersüchtigen, die noch bei ihren Eltern leben, sind oft Familiengespräche sinnvoll, um die Störung auch aus dem Lebensumfeld der Patientinnen und Patienten heraus verstehen und behandeln zu können.
Besonderheiten der Behandlung von Magersucht
Unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Psychotherapie für magersüchtige Patientinnen oder Patienten ist die Vereinbarung eines Zielgewichts in einem Behandlungsvertrag, wobei das Ziel nicht unbedingt das Normalgewicht sein muss. Wir wollen unsere Patientinnen und Patienten aber in eine körperliche Situation bringen, die sie akzeptieren und mit der sie gleichzeitig relativ ungefährdet leben können.
Im Behandlungsprozess unterstützen wir den Aufbau eines ausgewogenen Essverhaltens durch Essbegleitung beim Frühstück und beim Mittagessen und begleitete Nachruhezeiten. Im Verlauf kommen die Teilnahme an Koch- und Backgruppe hinzu. Wir möchten die Motivation der Patientinnen und Patienten fördern, essstörungstypische Ernährungsmuster schrittweise zu verändern. In der Einzeltherapie wird u. a. die Motivation unterstützt, sich von der Essstörung zu distanzieren, eigene Bedürfnisse vermehrt wahrzunehmen und umzusetzen und dies auch im Kontakt zu anderen Menschen deutlich zu machen. Die Kunsttherapie, Tanz- und Bewegungstherapie laden ein, eigene Stärken und Ressourcen wahrzunehmen, und ermöglichen, Emotionen kreativ zum Ausdruck zu bringen.
Wie kann man eine Magersucht erkennen?
Im Mittelpunkt des Krankheitsbildes steht die Störung des Essverhaltens:
- Mahlzeiten werden weggelassen, rigides Diätverhalten bis hin zur Nulldiät;
- das Hungergefühl wird unterdrückt mittels Trinken großer kalorienarmer Flüssigkeitsmengen, u. a. Kaffee;
- die Gewichtsabnahme kann zusätzlich durch Einnahme von Abführmitteln (Laxantienabusus), Diuretica etc. oder Erbrechen herbeigeführt werden;
- die Patientinnen treiben oft exzessiv Sport.
Magersüchtige haben durch extremes Hungern deutliches Untergewicht. Oft liegt ihr Gewicht 25 % oder mehr unter dem Normalgewicht (BMI <17,5 kg/m²). Sie hungern bis zur völligen Auszehrung (Kachexie), was schwere gesundheitliche Komplikationen zur Folge haben kann. In besonders schweren Fällen kann die Magersucht mit dem Tod enden!
Von einer Magersucht spricht man, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Dazu gehören:
- eine intensive Angst zuzunehmen, selbst wenn bereits Untergewicht besteht;
- eine Störung der Wahrnehmung von Gewicht, Maßen und Gestalt des eigenen Körpers: Die Betroffenen erleben sich immer noch als "zu fett", auch wenn ihnen das Untergewicht deutlich anzusehen ist;
- das Ausbleiben von mindestens drei zu erwartenden Menstruationszyklen (bleibt die Menstruation ganz aus bzw. setzt nur nach Hormongabe ein, so spricht man von Amenorrhoe);
- auch bei männlichen Patienten Interesseverlust an Sexualität & Potenzverlust.
Bei Magersüchtigen ist oft eine extreme Leistungsorientiertheit zu bemerken. Ihre Fähigkeit zu intensiveren Kontakten und emotionalem Austausch ist eingeschränkt, sie leben meist in sozialer Isolation. Das Verlangen nach Sexualität ist gering oder sogar mit Angst besetzt.
Mögliche psychische Hintergründe
Die Magersucht ist zumindest am Anfang Ausdruck eines Konfliktes, für den die Betroffenen keine andere Lösung als das Hungern finden können. Anorexie kann somit existentielle seelische Bedürfnisse ausdrücken, die die Betroffenen nicht ausleben und nicht anders äußern können.
Da die Erkrankung vor allem Frauen betrifft, kann man davon ausgehen, dass kulturell bestimmte Idealvorstellungen über das Erscheinungsbild des weiblichen Körpers eine wichtige Rolle spielen: Mode, Werbung und Medien lassen den Eindruck entstehen, dass Frauen, die dem Schlankheitsideal entsprechen, besonders attraktiv, erfolgreich, unabhängig, leistungsfähig etc. seien. Wenn das Bedürfnis, einer solchen Idealvorstellung zu entsprechen, jedoch so groß ist, dass derartige Entsagungen und gesundheitliche Risiken in Kauf genommen werden, wenn zudem die Wahrnehmung des eigenen Körpers derart verzerrt ist und sich das Hungern verselbstständigt, dann müssen noch andere Faktoren angenommen werden, die mit dem Einfluss einer Modeströmung allein nicht zu erklären sind. Solche sind neben psychischen auch biologische Faktoren, die eine Magersucht eher unterhalten und letztendlich auch für die ernste Prognose verantwortlich sind.
Häufigkeit und Verbreitung
Das höchste Erkrankungsrisiko haben junge Frauen zwischen 15 und 25 Jahren. In dieser Risikogruppe erkranken von 100.000 Frauen zwischen 50 und 75 pro Jahr. Auf die Gesamtbevölkerung bezogen, gibt es jedoch nur 0,1 bis 0,6 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner und Jahr.
Bulimie
Der Begriff Bulimie ist an das griechische “bulimos” angelehnt, was soviel wie “Ochsenhunger” heißt. Hauptmerkmal der Bulimia nervosa sind Kontrollverluste bei der Nahrungsaufnahme ("Essattacken") mit darauffolgenden Maßnahmen, die eine Gewichtszunahme verhindern sollen. Das selbst herbeigeführte Erbrechen als Mittel, das Gewicht wieder zu regulieren, gab der Bulimia nervosa auch den Namen “Ess-Brech-Sucht”, die Bezeichnung ist jedoch irreführend, da zum einen auch andere Maßnahmen zur Gegenregulation eingesetzt werden und zum anderen das Symptom “Erbrechen nach dem Essen” kein hinreichendes Kriterium zur Diagnose einer Bulimie ist. Im Gegensatz zu magersüchtigen sind bulimische Patientinnen und Patienten meist normal- oder idealgewichtig.
Wie kann man eine Bulimia nervosa erkennen?
Hauptmerkmal der Bulimie sind die Heißhungeranfälle, meist gefolgt von gegenregulatorischen Maßnahmen wie Fasten, Erbrechen, exzessivem Sport etc. Bei einem solchen Anfall werden große Mengen hochkalorischer Nahrungsmittel verschlungen, also fett- und kohlenhydratreiche Esswaren. Auf eine solche Essattacke folgt in der Regel ein tiefes Schamgefühl. Die Betroffenen versuchen meist erfolgreich, die Erkrankung vor Angehörigen und Freunden zu verbergen; die Essattacken finden heimlich statt.
Um von einer Bulimia nervosa zu sprechen, müssen folgende Kriterien erfüllt sein:
Es kommt zu wiederholten Episoden von Essanfällen (mindestens ein Essanfall pro Woche), in denen die Betroffenen große Mengen hochkalorischer Nahrungsmittel zu sich nehmen. Die Menge an Nahrungsmitteln können sie während eines Essanfalls nicht mehr kontrollieren.
Um eine Gewichtszunahme zu vermeiden, greifen die Betroffenen zu drastischen Methoden: Sie erbrechen, missbrauchen Diuretika oder Laxantien (Abführmittel), zwischen den Essanfällen werden rigide Diäten eingehalten oder Fastenkuren durchgeführt, manchmal sind die Betroffenen im Übermaß körperlich aktiv.
Wodurch entsteht eine Bulimia nervosa?
- Unzufriedenheit mit Körper und Figur
- Insbesondere Mädchen und junge Frauen hegen den Wunsch abzunehmen, oft beeinflusst durch das gesellschaftlich vermittelte Schlankheits- und Schönheitsideal. Dieser Wunsch ist häufig verbunden mit Diätverhalten (s. u.). Der Wunsch abzunehmen steht für den Wunsch nach mehr Attraktivität. Schlankheit wird als Sinnbild von Gesundheit, Leistung und Erfolg angesehen.
- Geringes Selbstwertgefühl
- Anders als bei Männern drückt sich bei Frauen eine Selbstwertproblematik häufig in einer Unzufriedenheit mit dem Körper aus und dient somit der Regulierung eines geringen Selbstwertgefühls.
- Familiäre Faktoren
- Einflüsse aus dem Elternhaus können an der Entstehung einer Bulimie beteiligt sein, z.B. wenn Eltern offen oder nur subtil Körpergewicht und Selbstwert miteinander verknüpfen. Spezifische familiäre Faktoren sind aber mit Vorbehalt zu diskutieren.
- Diätverhalten
- Häufige Diäten werden als ein wichtiger Faktor in der Entstehung einer Bulimie gewertet. Ein solches Essen nach Plan mit dem Ziel der Gewichtsreduktion wird nicht mehr durch die physiologische, gesunde Wahrnehmung von Hunger, Sättigung, Appetit, Lust und Genuss gesteuert. Natürliche Mechanismen der Nahrungsregulation treten immer mehr in den Hintergrund, im Fall der Bulimie bis hin zu Kontrollverlust und Essattacken.
- “Essen” als Ventil
- Ein Essanfall kann emotionale Erleichterung verschaffen, kann angstmindernd wirken und eine Ersatzbefriedigung für unerfüllte Bedürfnisse darstellen. Erlebte, drohende oder vorgestellte Kränkungen, die sich vor allem auf Aussehen und Gewicht der Betroffenen beziehen, stehen oft in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Beginn der Erkrankung und können als Auslöser gewertet werden. Auch Trennungen vom Elternhaus, Verluste nahestehender Menschen oder enttäuschende Beziehungserfahrungen können Auslöser der Erkrankung sein.
Häufigkeit und Verbreitung
In den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hat insbesondere die Bulimie in den Industriestaaten der Welt erheblich zugenommen. Da bulimische Patienten ihre Erkrankung in hohem Maße verheimlichen, ist es schwer, die Dunkelziffer zu benennen.
Soweit sich das unter diesen Bedingungen feststellen lässt, ist von einer Häufigkeit von 2 bis 4,5 % in der Risikogruppe der 18- bis 35-jährigen Frauen auszugehen.
Wie wir Bulimie behandeln
Im Gegensatz zu magersüchtigen Patientinnen und Patienten sind bulimische Patientinnen und Patienten meistens normal- oder idealgewichtig. Eine Gefährdung der vitalen Körperfunktionen durch ein zu geringes Gewicht, das eine stationäre Behandlung zwingend notwendig macht, ist also meistens nicht gegeben.
Dennoch gibt es Gründe, die eine stationäre Aufnahme erforderlich machen:
- Schwerwiegende medizinische Komplikationen
- z.B. kann es bei der Bulimia nervosa durch häufiges Erbrechen zu vital gefährdenden Elektrolytentgleisungen kommen.
- Chronifizierung
- Wenn die bulimischen Episoden weitgehend unabhängig von aktuellen Konfliktsituationen auftreten, dann ist ein Automatismus erreicht, der eine stationäre Aufnahme unumgänglich macht.
- Begleiterkrankungen, z.B. Diabetes mellitus
- Essstörungen wie die Bulimie sind insbesondere bei jungen Frauen mit Diabetes mellitus Typ I keine Seltenheit. Die Betroffenen verhindern den gefürchteten Gewichtsanstieg mit Hilfe einer verringerten Insulin-Dosierung. Das hat jedoch schwere gesundheitliche Folgen. Bei dem Vorliegen einer solchen "Doppelkrankheit" ist ein stationärer Aufenthalt sinnvoll.
Bei der Überlegung, ob eine stationäre Aufnahme angeraten ist, müssen auch der Grad der krankheitsbedingten Isolation der oder des Betroffenen, ihr/sein soziales Umfeld, die Familiendynamik sowie das Vorhandensein weiterer psychosomatischer oder psychiatrischer Störungen bedacht werden.
Wie bei der Behandlung der Magersucht, ist auch nach einem stationären Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik eine ambulante Weiterbehandlung für den Erfolg maßgeblich. Die stationäre Psychotherapie stellt nur den Anfang einer Behandlung dar - die sogenannte initiale Phase in einem Gesamttherapieplan. Neben der psychotherapeutischen Betreuung spielt zur Normalisierung des Essverhaltens die Ernährungsberatung eine wichtige Rolle.
Da bei der Entstehung einer Bulimie das Zusammentreffen vieler unterschiedlicher Faktoren eine Rolle spielt, muss eine Psychotherapie multidimensional ausgerichtet sein, um dem betroffenen Menschen gerecht werden zu können.
Wenn es die Entfernung zum Wohnort zulässt, kann eine tagesklinische Phase gegen Ende der Behandlung sinnvoll sein, um die hier gemachten Erfahrungen vermehrt auch in den Alltag übertragen zu können.
Besonderheiten der Behandlung bei Bulimia nervosa
Für bulimische Patientinnen und Patienten ist die Festlegung eines Basisgewichts sinnvoll. Diätverhalten stellt einen kausalen Faktor für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Bulimie dar. In der Mehrzahl geht der Bulimia nervosa ein Diätverhalten mit dem Ziel einer Körpergewichtsreduktion voraus. Unabhängig von der physiologischen Wahrnehmung von Hunger, Sättigung und psychischer Appetenz erfolgt die Regulation der Nahrungsaufnahme aufgrund einer der Schlankheitsnorm entsprechenden kognitiven ("kopf-gesteuerten") Kontrolle. Quantität, Qualität und zeitliche Strukturierung der Nahrungsaufnahme werden unabhängig von physiologischen internen Signalen vorausgeplant. Natürliche Mechanismen der Nahrungsregulation treten zunehmend in den Hintergrund. Zahlreiche Untersuchungen konnten belegen, dass gezügeltes Essverhalten unter bestimmten Bedingungen zu einem unkontrollierten Konsum größerer hochkalorischer Nahrungsmengen führt.
Ein weiteres Therapieziel bei dieser Patientengruppe ist die Entwicklung körperbezogener selbstfürsorglicher Verhaltensweisen, welche schädigendes bulimisches und/oder anorektisches Essverhalten in Krisensituationen zunehmend ersetzen.
Binge Eating
„To binge” kommt aus dem Amerikanischen und heißt übersetzt „ein Fressgelage abhalten”. Für die Bezeichnung „Binge Eating-Störung” gibt es keine offizielle deutsche Übersetzung.
Das wesentliche Kennzeichen der Binge Eating-Störung ist das wiederholte Auftreten von Heißhungerattacken bzw. „Essanfällen” ohne regelmäßig angewandte Maßnahmen, die einer Gewichtszunahme entgegenwirken sollen. Häufig leiden die Betroffenen auch an Übergewicht (BMI = 25 – 30 kg/m²) oder Adipositas (BMI > 30 kg/m²), so dass eine Behandlung auch aus medizinischen Gründen notwendig ist und es nicht selten einer psychosomatisch-internistischen Versorgung dieser Patienten bedarf.
Was ist eine Binge Eating-Störung und wie kann man sie erkennen?
Binge Eating umschreibt ein Essverhalten, das durch häufige Kontrollverluste beim Essen (Heißhungeranfall, "Essanfall") gekennzeichnet ist. Im Unterschied zur Bulimia nervosa fehlen die einer Gewichtszunahme gegenregulatorischen Maßnahmen. Daher sind Menschen mit dieser Essstörung häufig übergewichtig oder adipös.
Von einem "Essanfall" spricht man,
- wenn in einem abgrenzbaren Zeitraum eine Nahrungsmenge gegessen wird, die wesentlich größer ist, als die meisten Menschen in diesem Zeitraum essen würden,
- wenn es zu einem Kontrollverlust beim Essen kommt, z. B. zu dem Gefühl, dass man einfach nicht mehr aufhören kann zu essen und auch nicht mehr steuern kann, was und wieviel davon man zu sich nimmt.
Um von einer Binge Eating-Störung zu sprechen, müssen folgende Kriterien erfüllt sein:
- Die "Essanfälle" treten an mindestens einem Tag pro Woche auf.
- Es besteht deswegen ein deutliches Leiden.
- Auf die Essanfälle folgen keine einer Gewichtszunahme direkt gegensteuernde Maßnahmen wie Erbrechen oder Abführmittelmissbrauch.
Außerdem gehören folgende Symptome zum Störungsbild:
- wesentlich schneller essen als normal,
- essen bis zu einem unangenehmen Völlegefühl,
- große Nahrungsmengen essen, obwohl man nicht hungrig ist,
- alleine essen aus Verlegenheit über die Menge, die man isst,
- Ekelgefühle gegenüber sich selbst, Deprimiertheit oder große Schuldgefühle nach einem Essanfall.
(Diese Kriterien sind dem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen, DSM-5 American Psychiatric Association (APA) 2013 entnommen)
Mögliche psychische Hintergründe
Viele adipöse Menschen berichten, dass sie mehr oder zuviel essen, wenn sie seelische Probleme haben, z. B. wenn sie Kummer haben oder einsam sind. Es gibt Studien, aus denen hervorgeht, dass Menschen mit emotionalen Schwierigkeiten manchmal nicht in der Lage sind, Hunger von anderen Zuständen des Unbehagens zu unterscheiden, oder Hunger und Sattsein nicht erkennen, nicht fühlen können.
Häufigkeit und Verbreitung
Bei epidemiologischen Aussagen muss deutlich unterschieden werden zwischen Adipositas und Binge Eating-Störung.
Eine in den Vereinigten Staaten durchgeführte Studie ergab eine Häufigkeit in der Normalbevölkerung von 2 %. Von adipösen Menschen sind schon 4 – 9 % von der Binge Eating-Störung betroffen, und in Therapiegruppen mit dem Ziel der Gewichtsreduktion waren 30 % der Teilnehmer betroffen.
Bei Frauen ist das Auftreten einer Binge Eating-Störung etwa 1,5mal wahrscheinlicher als bei Männern. Im Vergleich zu Anorexie und Bulimie ist der Anteil des männlichen Geschlechts mit Binge Eating-Störung jedoch größer, er wird auf ein Drittel geschätzt. Auch die Altersverteilung ist weiter gestreut als bei den anderen genannten Essstörungen, das heißt, Menschen aller Altersgruppen sind von der Binge Eating-Störung betroffen.
Wie kann man eine Binge Eating-Störung und Adipositas behandeln?
Auch die Behandlung der Binge Eating-Störung hat als Basis zwei Behandlungsziele:
- Normalisierung des Essverhaltens
- Behandlung der zugrundeliegenden psychischen Problematik
Die Dynamik der Binge Eating-Störung bringt in der Therapie spezielle Herausforderungen mit sich.
Es wird diskutiert, inwieweit sich wiederholtes und nicht selten frustrierendes Diätverhalten (wenn das Gewicht nicht gehalten werden kann und sich der sog. Jo-Jo-Effekt einstellt) auf das seelische Empfinden und die Entwicklung z. B. einer depressiven Störung oder Essstörung auswirkt.
Die sich meistens mit der Binge Eating-Störung entwickelnde Adipositas birgt auch medizinische Risiken: Es kann zu Krankheiten wie Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen und Bluthochdruck kommen, auch ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko ist die Folge. Die Behandlung muss also neben der häufig notwendigen Gewichtsreduktion medizinischen Fragestellungen ebenso Rechnung tragen wie psychotherapeutischen.
In der psychotherapeutischen Behandlung hat sich in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie ein multidimensionales Therapiekonzept mit einer jeweils individuell abgestimmten Kombination verhaltenstherapeutischer und tiefenpsychologischer Konzepte bewährt.
Die Bewegungstherapie, die teilweise im Schwimmbad durchgeführt wird, ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Behandlung. Zentral ist dabei die Motivation zu körperlicher Bewegung, da sportliche Betätigung ein geeignetes Mittel ist, um eine Gewichtsreduktion beizubehalten.
Wie bei Essstörungen im allgemeinen, ist auch für den Erfolg der Behandlung der Binge Eating-Störung die Weiterführung der Therapie in ambulanter Behandlung notwendig.
Besonderheiten der Behandlung einer Binge Eating-Störung
Während des stationären Aufenthaltes reduzierten viele Patientinnen und Patienten ihr Gewicht ohne Diät. Die Gewichtsabnahme erfolgt allein durch Ernährungsumstellung und eine Nahrungsaufnahme, die an Gefühlen von Hunger und Sättigung orientiert ist und nicht mehr im Zusammenhang mit seelischen Belastungen steht.
Die Patientinnen und Patienten mit Binge Eating-Störung werden in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie im Rahmen eines integrativen Konzeptes behandelt, das sowohl Elemente der Verhaltenstherapie wie auch Elemente einer tiefenpsychologischen Therapie einbezieht.
Die Therapie wird in Form von Einzel- und Gruppentherapie durchgeführt, im Vordergrund stehen die Behandlung von Selbstwertproblematik, zwischenmenschlichen Problemen und die Normalisierung des Essverhaltens.
Die Behandlung kann in einer ambulanten Gruppe fortgeführt werden mit der Möglichkeit, die Umsetzung des bisher Erreichten auch im Alltag weiter zu unterstützen.
Adipositas
Begriffe wie „Fettsucht”, „Fettleibigkeit”, „Übergewicht”, „Obesitas” und „Adipositas” werden in Deutschland synonym gebraucht und beschreiben Menschen, die „schwerer” sind als andere und über ein vermehrtes Körperfett verfügen. Neben ernsthaften medizinischen Folgeerkrankungen geht Adipositas häufig mit erheblichen seelischen Problemen insbesondere bei Frauen einher, da sie sich zunehmend einer Gesellschaft gegenübergestellt sehen, die Übergewicht und Adipositas ablehnt und als Makel ausweist. Dass damit erhebliche Schwierigkeiten des Selbstwertgefühls einhergehen, liegt auf der Hand.
Body-Mass-Index
Um eine gewisse Ordnung in die vielen teilweise auch diskriminierenden Begriffe von Übergewicht und Adipositas (wie z. B. „Fettsucht”, „Fettleibigkeit”) zu bringen, wurde der Body-Mass-Index (BMI) eingeführt, der sich aus dem Quotienten von Körpergewicht und Körpergröße zum Quadrat berechnet (kg/m²). Entsprechend dem BMI erfolgt die Einteilung in Untergewicht, Normalgewicht, Übergewicht und Adipositas, wobei die Adipositas noch einmal in drei Schweregrade unterteilt werden kann.
Klassifikation | BMI (kg/m²) |
---|---|
Normalgewicht | 18,5-24,9 |
Übergewicht | 25,0-29,9 |
Adipositas Grad I | 30,0-34,9 |
Adipositas Grad II | 35,0-39,9 |
Adipositas Grad III | > 40,0 |
Übergewicht und Adipositas stellen von daher eine Maßeinheit dar und sagen zunächst einmal nichts über ihre Entstehung aus. Zweifelsohne sind sie das Ergebnis einer meist langjährigen positiven Energiebilanz, d.h. dass die Kalorienaufnahme die Kalorienabgabe überwiegt. Wie genau aber die bleibende Gewichtszunahme funktioniert, damit verbunden insbesondere die Frage, warum der eine Mensch bei gleicher Nahrungsaufnahme und körperlicher Anstrengung Gewicht zunimmt, der andere nicht, ist noch ungeklärt. In den letzten Jahren wird allerdings insbesondere in Anbetracht der drastischen Zunahme übergewichtiger bzw. adipöser Menschen weltweit intensiv über diese Frage geforscht.
Adipositas und seelische Probleme
Unabhängig von der Ursache der Adipositas sind die psychosozialen Belastungen eines adipösen Menschen unverkennbar. Sie sind insbesondere auf die Diskrepanz von steigendem durchschnittlichen Körpergewicht der Bevölkerung und hohen Schlankheitsnormen in unserer Gesellschaft zurückzuführen. Schon adipöse Kinder und Jugendliche sind erheblichen gesellschaftlichen Vorurteilen ausgesetzt, was sich im Erwachsenenalter insbesondere am Arbeitsplatz fortsetzt. Psychosoziale Probleme sind überwiegend Folge der Adipositas. Eine Gewichtsreduktion ist in der Regel mit einer Besserung psychischer Symptome insbesondere von Angst und Depressivität verbunden. In die gleiche Richtung weisen Untersuchungen an extrem adipösen Menschen (BMI>40 kg/m²) mit drastischer Gewichtsreduktion nach Adipositas-Chirurgie, bei denen eine Besserung fast aller psychosozialen Parameter in der Mehrzahl auch Jahre nach der Operation zu beobachten ist.
Allerdings wird die Entstehung der Adipositas neben den Erbanlagen vornehmlich bestimmt durch den Lebensstil und dem damit verbundenen individuellen Essverhalten, welches u. a. geprägt ist durch das (Vorbild-)Verhalten der Eltern einschließlich deren Nahrungsmittelpräferenzen und Esskultur (z. B. Essen als kommunikatives Ereignis). Ebenso hat das (Vorbild-)Verhalten der Gruppe gleichaltriger Mitmenschen (peer-group) einen entscheidenden Einfluss (was wird wann, wie und wo gegessen?).
In den Lebensstil und das Essverhalten fließen aber auch seelische Probleme ein. Innerhalb der mittlerweile großen Zahl adipöser Menschen gibt es eine Gruppe von Menschen, bei denen die Nahrungsaufnahme u. a. der Spannungsabfuhr und des zumindest zeitweiligen Aufschubs unangenehmer Gefühle dient. Dass seelische (Ver-)Stimmungen sowohl niedrig- wie auch hochkalorisches Essverhalten nach sich ziehen können, ist volksmündlich durch zahlreiche Zitate dokumentiert („das Problem schlägt auf den Magen”, „die Wut in sich hineinfressen”). Diese Sprichwörter machen deutlich, dass das Essen neben der Hungersättigung offensichtlich wichtige andere Funktionen erfüllen muss, die sich zum Beispiel unter dem Begriff der (Gefühls-) Affektregulation zusammenfassen lassen. Bei diesen Menschen findet sich nicht selten eine Koppelung unangenehmer Gefühle und Nahrungsaufnahme (z.B. Eltern trösten ihre Kinder durch das Angebot von Süßigkeiten). Insbesondere bei Frauen, deren Selbstwertgefühl sehr stark vom Körpergewicht abhängig ist, verursachen Übergewicht und Adipositas im Sinne eines Teufelskreises weitere negative Gefühle z.B. der eigenen Unzulänglichkeit bis hin zu deutlichen depressiven Symptomen, die nicht selten von einem allgemeinen sozialen Rückzug begleitet werden.
Wie wir Adipositas behandeln
Die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie hilft Menschen, deren Übergewicht durch seelische Probleme (mit-) verursacht ist. Im Vordergrund der Psychotherapie steht u. a. die Analyse auslösender und aufrechterhaltender Faktoren des unkontrollierten Essverhaltens, das durch das Führen eines Ernährungsprotokolls erleichtert wird. Ihr wesentlicher Sinn liegt darin, Zusammenhänge zwischen Essen und Emotionen zu erkennen, um u. a. im Hinblick auf die Therapieplanung eine unterschiedliche Gewichtung und zeitliche Abfolge von Therapiezielen möglichst gemeinsam mit dem Patienten definieren zu können.
Die Fokussierung auf schwerwiegende seelische Problembereiche ist dann vorrangig, wenn die Patientin oder der Patient in Anbetracht ausgeprägter seelischer Probleme auf sein bisheriges ungünstiges hochkalorisches Essverhalten im Sinne einer Regulationsfunktion angewiesen ist. Weitere Schwerpunkte in der Behandlung der „psychogenen Adipositas” sind die Schärfung der Wahrnehmung von Hungerreizen und der Sättigung, das Erlernen alternativer Umgangsweisen mit spannungsreichen psychischen Verfassungen, der Abbau des für viele adipöse und insbesondere essgestörte Patienten charakteristischen Schwarz-Weiß-Denkens („Alles oder Nichts”) und schließlich die Erkennung „falscher” Überzeugungen im Hinblick auf das Körperbild und das Selbstwertgefühl.
Besonderheiten der Behandlung von Adipositas
Eine komplette Übersicht über die Adipositas-Chirurgie geben die S3-Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF).
Konservative Gewichtsreduktionsmaßnahmen sind bei Menschen mit Adipositas permagna (Adipositas Grad 3, BMI > 40 kg/m²) in der Regel wenig erfolgversprechend. Die Adipositas-Chirurgie hat sich bei sinkendem Operationsrisiko im Hinblick auf eine deutliche und dauerhafte Gewichtsreduktion bei mindestens Zweidrittel der Patienten bewährt. Dennoch stellt sich bei 20 % der operierten Patienten der postoperative Gewichtsverlauf unbefriedigend dar, wobei weniger chirurgische als vielmehr psychische Gründe eine Rolle spielen. Auch in der Adipositas-Chirurgie gewinnt die Frage der Lebensqualität operierter Patienten zunehmend an Bedeutung. Der Begriff der Lebensqualität gründet sich nicht nur auf medizinische, sondern auch auf psychosoziale Aspekte, die wiederum mit seelischen Problemen oder Störungen untrennbar verbunden sind.
Wann Adipositas-Chirurgie angezeigt ist
Entsprechend den Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (s.o.) ist die Indikation für eine chirurgische Adipositas-Therapie bei einem BMI > 40 kg/m², der mehr als drei Jahre besteht, möglich. Von über 30 bisher beschriebenen OP-Verfahren haben sich drei Verfahrenskategorien herauskristallisiert, die heute gewöhnlich zur Anwendung kommen: Magenband-Operation, Schlauchmagen und Magen-Bypass. Durchschnittliche Gewichtsreduktionen von 30 kg bis 60 kg in den ersten beiden Jahren nach der Operation sind die Regel. Etwa 1/6 verliert mehr als 75 % der überschüssigen Fettmasse, 2/3 mehr als 50 %.
Die Binge Eating-Störung ist bei Menschen mit Adipositas nicht selten. Schwankt die mittlere Häufigkeit in der Normalbevölkerung zwischen 2 % und 4 %, so ist sie bei adipösen Menschen mit einer Häufigkeit von 5 % bis 10 % zu finden. Im Gegensatz zur Magersucht und Bulimie leiden an dieser Essstörung fast ebenso viele Männer wie Frauen.
Die Binge Eating-Störung gilt heute nicht mehr als Kontraindikation für eine Adipositas-Chirurgie in Deutschland. Zahlreiche Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Psychotherapie die seelische Befindlichkeit adipöser Menschen mit Binge Eating-Störung entscheidend und bleibend verbessern kann. Allerdings ist sie ebenso wenig wie andere konservative Gewichtsreduktionsmaßnahmen in der Lage, das Körpergewicht dauerhaft zu senken. Von daher ist in der Regel ein zweizeitiges Vorgehen angeraten. Sollte am Anfang eine psychotherapeutische Behandlung der Patienten mit Binge Eating-Störung stehen, so ist in einem zweiten Schritt die Adipositas-Chirurgie zu planen.
Vorbereitung einer chirurgischen Operation zur Magenverkleinerung
Sollten Sie Interesse an einer psychosomatischen Stellungnahme zur Beantragung einer chirurgischen Magenverkleinerung haben, möchten wir Sie bitten, folgendes Schreiben aufmerksam durchzulesen, die Auflistung wichtiger Befunde und Berichte zu beachten und diese Unterlagen zum vereinbarten Gespräch in unserer Ambulanz mitzubringen.
Vorbereitungen „Psychosomatische Stellungnahme zur geplanten bariatrischen Operation“
Sehr geehrte Patientin, sehr geehrter Patient,
Sie haben sich bei uns für eine ärztliche Stellungnahme im Hinblick auf eine chirurgische Magenverkleinerungsoperation bei bestehender Adipositas angemeldet. Diese ärztliche Stellungnahme wird von den meisten Kostenträgern verlangt. Sie und wir sind an einer zügigen Abwicklung der Untersuchung interessiert. Deshalb bitten wir Sie, zu dem mit Ihnen vereinbarten Termin folgende Unterlagen mitzubringen:
Sämtliche Vorbefunde (Entlassbriefe etc.) bzgl. eventueller psychiatrischer / psychosomatischer / psychologischer Vorbehandlungen
Eine kurze schriftliche Bestätigung durch den Mitbehandler bei eventuell laufender ambulanter psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung
Eine schriftliche Auflistung der Medikamente, die Sie aktuell einnehmen
Eine Bescheinigung über ein bereits stattgefundenes ärztliches Informationsgespräch bzgl. der geplanten Operation (erstellt z.B. vom Adipositaszentrum Ihrer Wahl)
Sämtliche relevante ärztliche bzw. psychologische Berichte über körperliche bzw. psychische Erkrankungen
Eine Überweisung vom Hausarzt sowie Ihre Versichertenkarte der Krankenkasse
Wichtig nach Terminvereinbarung mit uns: Bitte bestätigen Sie 1 Woche vor Ihrem Termin bei uns nochmalig per Telefon (gerne über eine kurze Information auf dem Anrufbeantworter), dass Sie den Termin wahrnehmen werden. Sollte keine Bestätigung vorliegen, verfällt Ihr Termin. Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass unsere für die Operation notwendige Stellungnahme nur bei vollständigen Angaben Ihrerseits möglich ist. Bitte achten Sie in Ihrem Interesse darauf, dass die Vollständigkeit gewährleistet ist, was in der Regel von den Kostenträgern gefordert und evtl. auch überprüft wird.
Mit freundlichen Grüßen
Univ.-Prof. Dr. med. S. Herpertz, Direktor der Klinik
Dr. med. J. Dieris-Hirche, Oberarzt der Ambulanz