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Traumatherapie in der Ukraine

Interview mit Prof. Stephan Herpertz, der vor Ort in Lwiw und Kiew war

Bochum/Lwiw (lwl). Vor einigen Wochen hatte sich Prof. Dr. Stephan Herpertz mit dem Zug auf den Weg nach Lwiw und Kiew in die Ukraine gemacht. Der Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikums Bochum folgte damit einer Einladung von ukrainischen Kolleg:innen. Herpertz konnte sich in beiden Städten ein Bild davon machen, wie den Menschen, die durch den Krieg traumatisiert sind, geholfen wird. LWL-Aktuell hat ihn nach seinen Eindrücken gefragt. 

Bilder, die von 6 Jährigen gemalt wurden

Herr Prof. Herpertz, hatten Sie zunächst Bedenken, in die Ukraine zu reisen?

Ja, ich hatte schon Bedenken, habe mich aber vor meiner Reise genau erkundigt. Ich wäre nicht in eine Stadt gefahren, die unter Beschuss steht. Lwiw ist über 1.000 Kilometer von der Front entfernt und Kiew mehre hundert Kilometer. Beide Städte waren zu der Zeit meiner Reise recht sicher.

Was haben Sie vorgefunden?
Beide Städte wirkten auf den ersten Blick fast normal. In Kiew war ein Sirenenalarm zu hören. Mir fiel auf, dass auf den Straßen deutlich weniger Männer als Frauen zu sehen waren. Männer, vornehmlich in Kampfanzügen, hielten sich hauptsächlich in Bahnhofsnähe auf. Eben dort, wo sie aus dem Krieg ankamen oder in die Kriegsgebiete fuhren. An einer Kirche in Lwiw sah ich eine fast zehn Meter lange Plakatwand mit Bildern von Gefallenen, alle im Alter von etwa 18 bis 30 Jahren.

Herr Prof. Herpertz

Worunter leiden die Menschen, Soldat:innen wie Zivilist:innen, psychisch hauptsächlich?

Der Krieg bringt sehr viel Stress und damit psychisches Leid, hat aber auch physische Auswirkungen: Besonders in Kiew kommen die Angriffe vor allem nachts. In der Nacht mit Angst wach zu bleiben, ist natürlich auf Dauer auch körperlich schwer erträglich. Nahezu alle Ukrainer:innen haben in ihrem Bekanntenkreis Menschen an den Krieg verloren. Viele haben entsetzliche Angst, dass ein geliebter Mensch nicht von der Front zurückkommt und die Soldat:innen haben natürlich Angst, verletzt oder getötet zu werden. Männer, die wiederum nicht als Soldaten in den Krieg ziehen, sind oft zerrissen und fragen sich, warum sie leben dürfen, während andere für das Land sterben. Und die Menschen blicken auch mit Sorgen in eine ungewisse Zukunft. Sie fürchten, dass Putin den Krieg nicht beendet, solange seine Forderungen nicht erfüllt sind. 

Wie wird den traumatisierten Menschen geholfen?
Das wird von Psychotherapeut:innen vornehmlich in Eigeninitiative organisiert. Ich war während meines Aufenthaltes nur in einem staatlichen Zentrum. Viele Helfer:innen kommen nach ihrem regulären Dienst zum Beispiel in der eigenen Praxis abends zum Bahnhof, um den ankommenden und abfahrenden Soldat:innen ihre Unterstützung anzubieten, sozusagen als erste psychotraumatologische Hilfe. In Lwiw hat eine Psychotherapeutin ein eigenes Netzwerk dazu aufgebaut.

Gibt es weitere Hilfe?
Ich traf andere Menschen, eine Grafikerin und eine Dozentin an der Kunsthochschule in Kiew, die traumatisierten Kindern durch Kunsttherapie helfen, ihre schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten. Und es wurde mir auch von einem Angebot berichtet, bei denen traumatisierte Menschen in kleinen Gruppen durch die unberührte Natur der Karpaten gehen. Durch die Naturerfahrung können sie sich abends leichter für mögliche Therapiegespräche öffnen. 

Was hat Sie während Ihrer Reise besonders beeindruckt?
Die Solidarität unter den Ukrainier:innen. Unter der Bedrohung von außen sind die Menschen enorm zusammengerückt und stehen für die Werte ihres Landes ein. 

Haben Sie neue Erkenntnisse mit in Ihren Arbeitsalltag nach Deutschland genommen?
Ich habe Menschen kennengelernt, die ähnliche Wertprioritäten haben wie wir und trotz des Krieges mit all seinen schrecklichen Auswirkungen mit Zuversicht nach vorne sehen. Das hat mich beeindruckt und lässt mich hier in Deutschland gelassener sein, auch im Arbeitsalltag. Manche Probleme relativieren sich nach den Erfahrungen in der Ukraine.

Planen Sie einen weiteren Besuch?
Ich würde gerne im Frühjahr noch einmal die Ukraine besuchen, um Traumafolgestörungen zu untersuchen. 

Bildzeile:

Prof. Stephan Herpertz hat auch eine Kunsttherapie für Kinder in der Ukraine besucht. Das Foto zeigt Bilder von Kindern vor der Therapie und danach. Fotos: Privat

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Bilder die 8 Jährige gemalt haben